Falls Du Dich auch nur ein klitzekleines bisschen für Hautpflege interessierst, stehen die Chancen gut, dass Du schon einmal von Retinol gehört hast: Jener Wirkstoff, der in der Beauty-Welt als «goldener Standard des Anti-Aging» gilt, weil er nachweislich die Kollagen-Produktion sowie den natürlichen Erneuerungsprozess der Haut ankurbelt.

Oder, um es etwas verständlicher auszudrücken: Retinol kann feine Falten glätten, das Hautbild von Aknepatient*innen verbessern sowie Pigmentflecken reduzieren und hat es dank diesen Eigenschaften zum Darling vieler Kosmetiker*innen und Dermatolog*innen geschafft.

Allerdings – und das wäre dann die berühmte Kehrseite der Medaille – ist Retinol nicht nur krass wirksam, sondern auch krass intensiv und führt darum vor allem bei Menschen mit sensibler Haut schnell mal zu Reizungen, Rötungen oder Schüppchen. Aus diesem Grund Retinol ist der Einsatz von Retinol streng reglementiert.

Die gute Nachricht?

Mittlerweile gibt es pflanzliche Alternativen zum synthetisch gewonnen Retinol, die gemäss Fachwelt ähnliche Effekte haben. Der bekannteste dieser natürlichen Wirkstoffe ist Bakuchiol, von dem Dermatologin Mona Gohara in Yale im Interview mit Cosmopolitan sagt, es steigere «nachweislich die Kollagenproduktion und die Zellerneuerung in einem ähnlichen Ausmass wie Retinol». Gleichzeitig kommt es bei der Verwendung von Bakuchiol im Gegensatz zu Retinol nicht zu Nebenwirkungen oder Irritationen, was den Wirkstoff vor allem interessant macht für Menschen mit empfindlicher Haut oder Rosazea, da Retinol bei diesen Indikationen als Tabu gilt.

Retinol vs Bakuchiol: sonrisa erklärt die Unterschiede der beiden Wirkstoffe - und worauf man achten sollte bei der Anwendung.

Insofern mag es darum nicht weiter erstaunen, dass immer mehr Produkte mit Bakuchiol als Anti-Aging-Wirkstoff lanciert werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die neue 24h Firming Cream von Erno Laszlo (für ca. 155 CHF unter anderem erhältlich bei Osswald in Zürich), welche dank einer Mischung aus Bakuchiol, Algen sowie Pflanzen zu einem sichtbar verbesserten Hautbild führen soll.

Ähnlich gute Resultate erzielt nach Aussagen der Hersteller auch der Bakuchiol-Booster von Bbyi, über den ich im vergangenen Frühling berichtet habe. Und dazu von Leserin Nina per Kommentar folgende Empfehlung bekam: «Dann würde ich für den Beginn der Recherche mal in den Post von Josh Rosebrook reinschauen, das gibt dem Thema nochmals eine andere Perspektive.»

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There is no such thing as “plant-based retinol” in cosmetics and I personally think calling Bakuchiol “phyto-retinol” is confusing, it’s not “plant retinol.” Retinol is safe and very sustainable. Saying Retinol is unsafe is false (blog on retinol & pregnancy coming soon). Saying Bukuchiol is safer or a “clean” alternative to retinol is false as well. Bakuchiol appears to be a great natural active. Bakuchiol has shown in 1 study to offer retinol-LIKE function. Bakuchiol has no structural resemblance to retinoids. Retinol is Vitamin A, a fat-soluble vitamin. Bakuchiol is a botanical active, the major component is a meroterpene phenol which functions as anti inflammatory, antioxidant, anti bacterial among other benefits. Also, retinol cannot be “plant-based” either. You cannot isolate retinol/vitamin A from a plant and use it in a cosmetic formula. Tretinoin and Retinol derivatives are lab synthesized and entirely sustainable. Yes, a trace amount of retinoic acid is present Rose Hip Seed Oil – but from my research, it’s not nearly enough to deliver or compare to lab synthesized Vitamin A/Retinol clinical results. I’ll share the extremely low, almost undetectable amount of retinoic acid in RHSO and why it’s inaccurate to call it a natural retinol later. Though RHSO is a nutrient-dense oil that I love. Babchi seems to have some sustainability issues. *Update – There are allegedly sustainable sources for the plant though several journals claim the seed is endangered. 1) UKJPB. 2017; 5(1): 40 2) Int Journal of Phytomedicine 2 (2010) 100-107 3) Medicinal Plants-International Journal of Phytomedicines and Related Industries, 6(1), 13–20.

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Grob übersetzt besteht der etwas komisch strukturierte Post des von mir sehr geschätzten Naturkosmetik-Unternehmers Josh Rosebrook also aus den folgenden drei Kernaussagen:

  • Bakuchiol ist ein botanischer Wirkstoff, der keine strukturelle Ähnlichkeit hat mit Retinoiden, die im Labor synthetisiert werden. Pflanzliches Retinol gibt es nicht und entsprechend ist es falsch, wenn man Bakuchiol als Phyto-/ oder Bio-Retinol bezeichnet.
  • Bukachiol ist nicht sicherer als Retinol.
  • Retinol ist nachhaltiger als Bakuchiol, da es sich bei diesem Wirkstoff um eine vom Aussterben bedrohte Pflanze handelt

So weit, so klar, könnte man meinen.

Oder auch nicht, wie die vielen zum Teil durchaus kritischen Reaktionen auf den Post von Josh Rosebrook zeigen, zu dem Naturkosmetik-Profi Anna Mandozzi exklusiv für sonrisa eine ausführliche Replik geschrieben hat.

Einerseits, weil einige seiner Aussagen schlicht missverstanden worden seien, wie sie sagt und andererseits, weil es gemäss Anna zu gewissen Punkten auch noch andere Standpunkte gibt, die ebenfalls beachtet werden sollten bei der Meinungsbildung zum Thema «Retinol vs Bakuchiol»:

Retinol vs Bakuchiol: sonrisa erklärt die Unterschiede der beiden Wirkstoffe - und worauf man achten sollte bei der Anwendung.

Gibt es «Pflanzen-Retinol»?

«In einem Wort: Nein!

Wie Josh Rosebrook zurecht betont, ist der Begriff ‘Pflanzen-Retinol’ insofern falsch, als es kein pflanzliches Retinol gibt – wohl aber pflanzliche Wirkstoffe wie Bakuchiol, Mattenbohne, oder Bidens Pilosa, welche einen ähnlichen Effekt haben wie das synthetisch hergestellte Retinol. Dass man solche natürlichen Wirkstoffe bisweilen als «Bio-Retinol» oder «Pflanzen-Retinol» bezeichnet, ist schlicht und einfach: cleveres Marketing. 

Der Vergleich zwischen Retinol und Bakuchiol kommt mir darum vor wie der Vergleich zwischen einem Gummibärchen und frischen Feigen vom Baum: Beide sind süss, beide füllen ab einer bestimmten Menge den Bauch und wenn man sie isst mit dem Ziel, den Bauch mit etwas Süssem zu füllen, dann leisten sie auch beide das Gleiche. Gummibärchen haben in diesem Fall dieselbe Wirkung, sind ansonsten aber grundverschieden und sollten darum gar nicht erst miteinander verglichen werden.» 

Ist Retinol tatsächlich sicherer als Bakuchiol?

«Was die Sicherheit von Retinol angeht, bin ich deutlich anderer Meinung als Josh Rosebrook. Retinol kann in der falschen Dosierung massive Auswirkungen auf den Körper haben – darum übrigens auch das Verbot von Retinol während der Schwangerschaft oder die strengen Einschränkungen zum Einsatz in Kosmetika. Ausserdem, und das wissen viele nicht, ist Retinol die abgemilderte Form von Tretinoiden, welche zur Behandlung von Akne aber auch von Hautkrebs verwendet werden und viele zum Teil bedenkliche Nebenwirkungen haben kann. 

Und ja, ich weiss, dass die Dosis das Gift macht, doch…

a) können sich bei längerer Anwendung kleine Dosen im Körper zu einer grösseren Menge ansammeln

b) verwenden viele Konsument*innen nicht die korrekte Dosis eines Produktes 

c) benutzen viele Konsument*innen oft mehrere Produkte mit dem gleichen Wirkstoff

d) sind Langzeitstudien immer noch ausständig

… so dass es häufiger als man denkt zu einer unbeabsichtigten Überschreitung der Dosis kommt. 

Retinol ist also nur ‘sicher’, wenn es innerhalb der gesetzlichen Schranke verwendet wird, wobei man hinter diese Grenzwerte durchaus auch einige Fragezeichen setzen darf, da sie unter Einfluss einer starken Lobby gesetzt wurden. 

Es ist sogar eher so, dass Retinol aufgrund seiner chemischen Beschaffenheit in Formulierungen nicht stabil ist und daher die Wirksamkeit leiden kann. Bakuchiol hingegen ist in kosmetischen Formulierungen stabil und ohne Wirksamkeitsverlust einsetzbar.»

Ist Retinol nachhaltiger als Bakuchiol?

«Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei Retinol um einen synthetisch hergestellten Wirkstoff. Wie Josh Rosebrook habe ich in Bezug auf die Nachhaltigkeit von Retinol keine Bedenken.

Genauso nachhaltig ist aber auch die Gewinnnung von Bakuchiol, bei dem es sich entgegen den ersten Aussagen – später wurden diese relativiert – von Josh Rosebrook nicht um eine vom Aussterben bedrohte Pflanze handelt, im Gegenteil: Bakuchiol ist in Indien sowie grossen Teilen Asiens heimisch, wo sie sowohl kultiviert als auch wild anwächst und seit Jahrtausenden eingesetzt wird in der ayurvedischen und traditionell chinesischen Medizin.

Gemäss den Angaben verschiedener Anbaugebiete befindet sich die Pflanze sogar auf dem Vormarsch, weil sie andere Pflanzen leicht verdrängen kann und die Nachfrage ist immer noch weit unter dem möglichen Angebot an Pflanzenrohstoff. Indien etwa zertifiziert Bakuchiol-Produkte mit einem bestimmten Standard, der nicht verliehen werden kann, wenn die Pflanze vom Aussterben bedroht ist.

Man kann sonst übrigens auch einfach die Listen der vom Aussterben bedrohten Pflanzen recherchieren: Dort findet man Bakuchiol nämlich nicht.

Last but not least spielt für mich bei diesem Thema auch  die – ziemlich philosophische – Frage hinein, ob ein synthetisch hergesteller Wirkstoff mehr oder weniger nachhaltig ist oder sein kann, als eine wild wachsende oder kultivierte Pflanze. Diese Frage ist extrem kompliziert und kann man nur anhand der konkreten Pflanze beurteilt werden.

In Bezug auf den Vergleich zwischen Retinol und Bakuchiol heisst das konkret: Nur weil Retinol synthetisch hergestellt wird, ist es noch nicht nachhaltiger als eine Pflanze. »

Retinol vs Bakuchiol: sonrisa erklärt die Unterschiede der beiden Wirkstoffe - und worauf man achten sollte bei der Anwendung.
Bild: Biomazing

Spannend, oder?

Für mich persönlich ist ganz klar, dass beide Wirkstoffe ihre Berechtigung haben in der Kosmetik. Retinol, das sagt auch Anna, wird von Dermatolog*innen, Kosmetiker*innen sowie Hautpflege-Enthusiast*innen insofern aus gutem Grund gerne empfohlen, denn es ist: Wirklich wirksam und hat die stärkste Anti-Aging-Wirkung – aber bisweilen eben auch starke Nebenwirkungen.

Bakuchiol wiederum wirkt gemäss aktueller Lehrmeinung nicht ganz so intensiv und ist dafür nicht nur sehr gut verträglich für sämtliche Hauttypen, sondern gilt auch als sicher während in der Schwangerschaft oder der Stillzeit.

Letztlich muss darum jeder für sich entscheiden, welcher Wirkstoff am besten passt für die persönlichen Bedürfnisse, wobei es hier natürlich auch fliessende Übergänge geben kann.

Anna Mandozzi zum Beispiel mag nach eigenen Aussagen nämlich sowohl Gummibärchen als auch frische Feigen…